Tagesablauf
23. Juni
Ein Sommertag bei uns im Waldkindergarten
8.30 Uhr
Wir kommen im Wald an- die Kinder steigen aus den Bussen aus. Es regnet.
Auf dem Weg zur Garderobe holen sich zwei Kinder gleich Gefäße, um Wasser zu sammeln. Ist auch das Regenfass schon wieder voll?
Schon gibt es ein paar Kinder, die sich freudig mit Regenwürmern beschäftigen. Wo haben die eigentlich gestern gesteckt? Und wieso haben manche eine dicke Stelle in der Mitte? Andere sammeln Johanniskrautblüten und Pfefferwurz und beginnen, Waldsuppe zu kochen. Manche Kinder bauen an ihren Waldhäusern weiter, wieder andere schaukeln; einige der ganz jungen Kinder bereiten mit der Erzieherin den Morgenkreis vor.
Entwicklungsfelder: Körper; Denken; Sprache; Gefühl und Mitgefühl
Der Wald erwartet die Kinder täglich mit einer Vielzahl von Anregungen (Wetter, Tiere, Spuren…) Basiserfahrungen mit verschiedenen Stoffen wie Wasser, Erde etc gehören zum Alltag. Nicht vorgefertigte Materialien und die Notwendigkeit, „echte“ Hilfsmittel zu verwenden und zu bedienen (Wassertonne, Kanister, aber auch Säge etc.), schulen die Feinmotorik.
Tiere und kleine Lebewesen faszinieren und berühren Kinder auf emotionaler Ebene intensiv. Sie regen sie dazu an, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Gefühle wie Hilfsbereitschaft und eigene Stärke, beobachten und behüten wollen, Verantwortung übernehmen, Wissensdrang und Forschergeist, aber auch Machtempfinden und Überlegenheitsgefühl werden geweckt.
Hypothesen werden aufgestellt und Sachwissen erfragt und eingefordert.
8.50 Uhr
Die Trommel ruft zum Morgenkreis.
Die Kinder gehen in ihre Stammgruppe. Gemeinsames Lied: „Die Blume braucht zum Wachsen..“.
Es hört auf zu regnen. Ein Kind wünscht sich das Spiel “ Ich bin in den Brunnen gefallen“.
Motiviert und glücklich spielen die Kinder ihr Spiel. Im Kreis bemerken wir, dass ein Kind teilnahmslos wirkt und traurig schaut. Während eine Kollegin sich um dieses Kind kümmert, wird im Morgenkreis gerade geschaut, wer heute da ist und wer fehlt.
Einige Kinder wissen über den Verbleib anderer Bescheid und berichten: So ist eine große Schwester heute beim Arzt, ein anderes Kind ist bereits im Urlaub.
Entwicklungsfelder: Sinne; Gefühl und Mitgefühl; Sprache; Körper
Andere wahrzunehmen und die Erfahrung zu machen, selbst als wichtiger Teil der Gruppe wahrgenommen zu werden; sich etwas wünschen zu dürfen, das alle mitmachen: Gemeinschaft wird erlebt.
Wichtig ist, dass trotzdem Raum bleibt für Kinder, die im Moment noch nicht frei sind, am gemeinsamen Geschehen teilzunehmen. Nur ein guter Personalschlüssel macht es möglich, die Aktionen der gesamten Gruppe zu begleiten und gleichzeitig die Nöte einzelner aufzufangen.
9.15 Uhr
Freies Spiel am Mäuseplatz im Wald
Eine Erzieherin verkündet, dass wir gemeinsam zum Mäuseplatz im Wald gehen. Ein paar große Kinder rennen begeistert voraus und warten am zuvor vereinbarten Platz. Dort beginnen sie ihr Spiel. Kurz darauf kommen auch die jüngsten Kinder, manche an der Hand einer Erzieherin oder eines größeren Kindes, am Platz an. Herrliche Stimmung ist im Wald – Vogelgezwitscher, Sonnenstrahlen.
Auf dem gestern konstruierten Piratenboot werden gerade Fische geangelt und ein großer Junge heuert eine Mannschaft an: Eine Plünderei auf den Kaufladen ist geplant! Doch zunächst gilt es noch Spannendes zu klären: Wer ist der Piratenchef? Wer gehört zur Mannschaft und wer nicht? Welche Rolle suche ich mir aus bzw. wird mir zugewiesen? Bin ich einverstanden?
Die Waldverkäufer vom Kaufladen bestücken ihre Theke mit neuer Ware („Schoko-Lollies“ aus Erde, „Kerzen“, „Würste“, Waldsuppe und Salat, „Croissants und Cappuccino“, selbstgemachte Kämme)
Unsere jüngeren Kinder üben sich in Akrobatik und turnen an der Slackline. Wie am Vortag beobachtet, stellen sie sich dabei geduldig in die Wartereihe. Stolz wird Körperkönnen gezeigt und bewundert.
Entwicklungsfelder: Körper; Sprache; Sinne; Gefühl und Mitgefühl; Denken
Sich auch mal allein durch den Wald zu bewegen, schult Orientierungssinn und Raum- Lage- Verständnis und weckt Tatendrang. Selbstverständlich ist die Einhaltung bestimmter Regeln die Voraussetzung für den Genuss dieser Freiheit.
Das Konstruieren der Spielbereiche bringt statische und strategische Grunderfahrungen zwingend mit sich: Was hält? Was fällt um und warum? Wie viele Astgabeln brauchen wir wohl noch und wer sucht sie?
Weil das Spielmaterial nicht vorgefertigt ist und erst zu seinem Zweck „erkoren“ werden muss, wird die Phantasiekraft bestens entwickelt. Zugleich machen die Kinder ständig wichtige mathematische Grunderfahrungen: Ordnen und Sortieren nach verschiedenen Merkmalen, Mengen- und Zahlenverständnis- heute sind Laubblätter die Währung!
Klettern, Balancieren u.ä. sind im Wald jederzeit möglich und nötig. Dennoch genießen die Kinder das intensive Gefühl von Schwerkraft und Fliehkraft, von Körperbeherrschung und Übungserfolg auf unserer Slackline besonders.
10.00 Uhr
Vesperzeit bei uns im Wald
Gemeinsam gehen wir zum „Pipi-Platz“. Der Händewaschplatz wird hergerichtet und von einer Erzieherin betreut. Das gemeinsame Vesper beginnt mit einem Vesperspruch nach Wunsch der Kinder. Die Kinder haben in ihren Vesperdosen ein gesundes und abwechslungsreiches Frühstück. Leckereien werden gerne untereinander ausgetauscht. Bei uns ist Vesperzeit auch erwünschte Erzählzeit: Was haben wir heute beim Spiel oder gestern Zuhause erlebt? Wer hegt einen besonderen Wunsch? Hat sich jemand über etwas oder gar jemanden geärgert? Zum Abschluss gibt es eine Geschichte oder ein Lied, Spiel oder Fingerspiel.
Dann räumen die Kinder ihre Rucksäcke auf und schon duftet es nach warmem Bienenwachs. Heutiges Wochentags-Ritual: Bienenwachskneten.
Erwartungsvoll setzen sich die Kinder in den Kreis und halten ihre Hände fürs Bienenwachskneten bereit. Bei diesem Ritual entstehen wundersame phantasievolle Gebilde und Tiere, die die Kinder zum gemeinsamen Spiel inspirieren. Es ist herrlich, mittendrin zu sein und miteinzutauchen in die Welt der Kinder.
Entwicklungsfelder: Sinne; Sprache; Gefühl und Mitgefühl; Sinn, Werte und Religion
Rituale geben Halt und Sicherheit, Orientierung und Struktur im Alltag ebenso wie im Wochen-, Jahresrhythmus. Sie stärken das Gemeinschaftsgefühl und die Zugehörigkeit. Kinder fordern liebgewonnene Rituale und eine verlässliche Struktur ein. Gute Ernährung ist ein Schlüssel für das Wohlbefinden, die Leistungsfähigkeit und die Gesundheit jedes Menschen. Kinder brauchen eine gute Ernährung für eine gute
Entwicklung von Körper und Geist. Essen und Trinken sind verbunden mit vielfältigen Sinneserfahrungen, dem Erleben von Fürsorge, von Zu- oder Abwendung, aber auch der Erfahrung von Grenzen (Allergien). Die Waldfrüchte wachsen zu sehen, zu sammeln und zu verarbeiten, ist bei uns ein besonderer, wichtiger und ritueller Teil im Jahreslauf. Waldmeistergelee, Bärlauch- Kräuterbutter, Waldbeerenmarmelade, Bärlauch-Stockbrot ( Waldbuffet)
Beim Bienenwachskneten werden alle Sinne angesprochen (Kinästhetik, fühlen, schmecken, Phantasiekräfte, Gemeinschaft erleben, feinmotorische Schulung)
11.20 Uhr
Freies Spiel im Waldgelände
Manche Kinder kehren zu ihren Waldplätzen zurück und greifen ihr Spiel vom Vortag wieder auf, andere spielen mit Seilen Pferdchen und wieder andere bereiten Waldsuppe zu. Einige Kinder genießen die Nähe einer Erzieherin, sie sind in Kuschellaune. Auf einer ausgebreiteten Decke in der Sonne wird erzählt, gekuschelt, gespielt und gelacht oder einfach ausgeruht.
Heute gibt es das freie Angebot, Holunderketten herzustellen. Hier wird gesägt, gebohrt, aufgefädelt und mit Wasserfarben bemalt. Schon bald sind wunderschöne Ketten zu sehen und die Kinder nehmen sie stolz mit nach Hause. Kann ich morgen auch so eine Kette machen?
Im freien Angebot gibt es beispielsweise Filzen, Schnitzen (jedes Kind macht einen Schnitz-Führerschein), Malen, Basteleien, Stöcke und Steine verzieren, Kunstwerke aus Naturmaterialien, Perlenketten mit Glitzer und Glimmer usw.
Entwicklungsfelder: Sprache; Denken; Gefühl und Mitgefühl; Körper
Jedes Kind hat seinen eigenen Rhythmus mit Phasen der Anspannung und der Entspannung, der Aktivität und der Ermüdung. Diese das Kind spüren zu lassen, sie zuzulassen, heißt auch: Situationen zu schaffen, in denen es zur Ruhe kommen kann, um neue Kraft zu schöpfen.
Die freien Angebote am Beispiel Holunderkettenherstellung: Handwerkliches Geschick, Motorik, Geduld und Ausdauer, Konzentration und Kreativität werden herausgefordert und geübt. Die Kinder erleben Freude am Tun, an ihrer ästhetischen Schöpferkraft, ihrer Selbstwirksamkeit.
11.55 Uhr
Die Trommel erklingt zum Abschlusskreis. Die Kinder holen ihre Rucksäcke und setzen sich in den Kreis. Ein Kind bringt eine Weinbergschnecke und möchte sie allen zeigen. Gemeinsam singen wir das schöne Lied vom Holunder und genießen noch selbst gemachten Holunderblütensirup. Die Zeit reicht noch für ein Tanzspiel.
Abschlusslied: „12 Uhr hat´s geschlagen“
Entwicklungsfelder: Sinne; Körper; Sprache
Rhythmus übt eine stabilisierende Wirkung aus, sowohl auf die körperliche wie auch die seelisch- geistige Entwicklung des Kindes. Rhythmus verbindet Sprache, Musik und Bewegung und spricht das Kind ganzheitlich an.